Kultur
Francisco Sanchez Martinez und das Ballett feiern mit "Bachgeflüster" einen starken Einstand
Himmel und Erde
Das neue Ballett des Theaters Lüneburg hebt ab - und wird 15 Minuten lang gefeiert. Foto: t&w
Von H.-M. Koch
Lüneburg. Es ist dieser Tage im Kino viel zu lernen von der schönsten Schinderei, die das Theater zu bieten hat. In "La Danse" klebt der Blick der Kamera förmlich am Schweiß der Körper im harten Training, und der Kampf um die ohnehin kurze Tänzer-Karriere liefert ab Donnerstag die Basis für den Psychothriller "Black Swan". Was aber Einsatz und Disziplin, Können und Willen vollbringen, das vermittelt sich am intensivsten live auf der Bühne. Und am Ende entscheidet das Publikum. Für 15 Minuten Beifall entschied es sich beim "Bachgeflüster", dem großen Ballettabend des neu formierten Balletts des Theaters Lüneburg. Das ist eine Ansage, denn fast alles ist bei diesem zweigeteilten Himmel-und-Erde-Abend anders als in den Vorjahren.
Am Anfang ist das Nichts, die Bühne nackt und schwarz. Aus dem Dunkel des Bodens glimmen Lichter auf, schälen sich Figuren heraus, tastend, suchend, erkundend. Dazu erklingt die Sarabande aus Bachs zweiter Orchestersuite. Ballettchef Francisco Sanchez Martinez lässt Szenen entstehen, die ganz und gar der Sprache des Tanzes vertrauen. Sie fügen sich zu Bildern eines Prozesses von Schöpfung, von Erwachen und Erkennen, von Verbindung und Verlassenheit. Es sind magisch schöne Bilder darunter, gemalt aus Körpern mit Licht und Musik, dann auch mit fallenden Vorhängen, Projektionen und Nebel, in dem sich alles wieder auflöst.
Tänzerisch ist das sehr anspruchsvoll, geformt mit einer Verbindung aus Tradition und Moderne, mit vertrauten und überraschenden Abläufen und einigen ins Artistische ragenden Momenten. Die Gruppe setzt das in hohem Maß bestechend um. Herausragend vielleicht das "Air" mit einem Paar, das eng verbunden tanzt, und einem zweiten Paar im Hintergrund, das sich in Zeitlupe aufeinander zu und doch aneinander vorbei bewegt. Die Lüneburger Sinfoniker, geleitet von Nezih Seckin unterlegen die Szenen mit einem weich gespielten Bach; Soli von Geige, Flöte, Oboe geben viel Farbe. Diese 45 ersten Minuten packen mit einem zunehmend dramatischen Aufbau, samt Kometenschauer und Wolkendampf.
Spiegelt Teil eins mit seinen abstrakten Bildern eine kosmische Sphäre, so wird Teil zwei ganz irdisch, der Orchestergraben zum Swimming Pool. Fünf bunte Wechselkabinen hat Bühnenbildnerin Barbara Bloch auf den Bühnenstrand gestellt. Doch bevor es dort wie im Taubenschlag zugeht, lüpft sich der Vorhang nur ein wenig vom Boden und ein wirklich witziges Füßeln beginnt. Da wird mit den Füßen geflirtet, abgehoben und aufgestampft, gerannt und getreten und sich auch einmal die Wade gejuckt, dass es ein reines Vergnügen ist. Dann aber geht der Vorhang hoch und klappen die Türen der Kabinen. Es reihen sich zu Mozart-Klängen, in denen das Orchester sich spürbar wohlfühlt, neckische Szenen vom Leben und Lieben auf. Großartig sind Timing und Tempo, unbeschwert ist die Atmosphäre, und jede/r bekommt und nutzt die Gelegenheit, sich auszuzeichnen.
"Bachgeflüster" ist das im ersten Teil fesselnde und herausfordernde, im zweiten Teil locker unterhaltende Produkt einer Respekt einflößenden Teamarbeit. Auf den Punkt gebracht hat es eine Truppe, die noch am Anfang ihres Weges ist, geleitet von einem Choreographen, der den Ehrgeiz zum Außergewöhnlichen hat und das Potenzial seiner Gruppe kennt und weiterentwickeln wird. Es tanzt ein Team, aus dem einige Neue wie Patrick John Rebullida das Zeug zum Publikumliebling haben, einige Bekannte wie Kerstin Kessel sind es längst. Nichts nach stehen bzw. tanzen Mireille Bobst, Ria Kesternich, Katerina Vlasova, Claudia Rietschel, Amadeus Pawlica, Matthew Sly, Ilia Zhlezniak, dazu kommt das Extraballett.
Das nächste "Bachgeflüster" folgt Donnerstag, 20. Januar.