Kultur
Drei neue Tanzstücke ernten beim Ballettstudio des Theaters Lüneburg ein begeistertes Echo
Kleines Team, große Leistung
Hektik herrscht in "Flughalle B", nur einer rauft sich vor lauter Stillstand die Haare: Sein Flug ist mal wieder gestrichen. Foto: t&w
oc Lüneburg. Die Vorzeichen waren nicht gerade gut. Gleich zwei Tänzer fielen verletzt aus: Rosa Gehrmann und Oleg Trutnev. Die ganze Compagnie steht kurz vor ihrer Auflösung, und manchem der Tänzer bietet die persönliche Zukunft lauter Fragezeichen. Trotzdem bringt die kleine Tanztruppe des Theaters Lüneburg wieder ein eigenes Programm auf die Bühne, mit drei sehr unterschiedlichen Stücken, entwickelt von Mathew Sly und Kerstin Kessel, die beide am Theater bleiben, und von Yarica von der Osten, die vom künftigen Ballettchef nicht übernommen wird.
Yarica von der Osten hat die John-Neumeier-Ballettschule absolviert und in den vergangenen sechs Lüneburger Spielzeiten die großen Partien getanzt. Technisch und künstlerisch ist sie eine wesentliche Stütze der Truppe, und an diesem Abend erscheint sie als Lady in Red. "Schirme" nennt von der Osten ihre Choreographie. Darin zeigt sie mit Eleganz, künstlerischem Können und breitem Spektrum des Ausdrucks erst allein, dann in der Gruppe Bilder von Schutzbedürftigkeit, Angst und zunehmend von Lebensfreude und Partnerschaft. Das kleine Stück ist in leuchtende Farben und klare, dynamische Szenen gepackt, dazu mit knackiger Musik unterlegt, vor allem der Tom-Waits-Part fesselt.
Mathew Sly hat in seinem Beitrag viel gewollt, zu viel vielleicht. "Ich, meine Gegnerin" entpuppt sich als eine Art Jekyll-Hyde-Geschichte über das Gute und das Böse, das in den Menschen tobt. Es fängt mit einer spacigen Rokoko-Szenerie an, verwandelt sich dann aber in ein Science-Fiction-Bild mit einer roboterisierten Frau, die Menschen an- und ausschaltet wie Maschinen, und in der sich doch immer wieder das Menschliche meldet. Da ist viel Symbolik im Spiel, in den Rot/Blau-Projektionen, den Kostümen, in der Musik - und viel Bewegung auf der Bühne bis hin zu einem dramatischen Finale. Darin werden zwar von einem Mann, der die Frau liebt, die Dämonen aus dem Weg geräumt, aber zu spät, um die Schöne zu retten. Das Ganze liefert Anlass zu vielen tänzerischen Aktionen, doch auch da wäre über den Unterhaltungswert hinaus ein schärferes Konturieren denkbar.
Sinn für Skurriles hat auch Kerstin Kessel. Denn in der "Flughalle B" können sich Koffer verlieben, und kann der Kaffee-Automat nicht nur schmachten, seufzen und ablachen, er kann sogar tanzen. Es sind zumeist unbeschwerte Szenen, die Kerstin Kessel für eine Welt entwirft, in der dauernd Hektik herrscht und zugleich das Warten ein Dauerzustand sein kann wie bei dem Mann, der am Anfang und am Ende eine Zeitung als Zudecke nutzt. Sein Flug ist mal wieder gecancelt. Kerstin Kessel selbst ist im Stewardessen-Look das Mädchen für alles in der Flughalle, in der sich tänzerisch und musikalisch auf den Punkt gebrachte Szenen ohne abgegriffenes Bewegungsrepertoire entwickeln.
Es gibt langen, langen Applaus, der einem Team gilt, das in Kürze nicht mehr bestehen wird. Außer Genannten tanzen Susanne Janßen, Heidrun Stahl, Torben Bardowicks, Lilia Haydee Arevalo Armas und Fabian Abric noch am 30. Mai sowie am 9., 17. und 23. Juni.