Tanzen ist das ganze Leben


"Ballettstudio 2006" erzählt Geschichten

Mit fünf Choreographien begeisterte das Lüneburger Ballettensemble das Premierenpublikum; hier: Eine Szene aus dem Finale "Three Pieces for Blues Band and Symphony Orchestra".Foto: t&w


  ff Lüneburg. Ihr erstes Tor hatte die Ballett-Mannschaft des Lüneburger Theaters schon vor Spielbeginn erzielt: Eine ansehnliche Zuschauerschar war zur Premiere des "Ballettstudios 2006" erschienen -- und das am ersten Tag der Fußball-WM. Doch nach glücklich vollbrachtem 4 : 2 verspürte vielleicht mancher Gast noch Lust auf choreographierte Kunst ohne Fehlpässe. Andere hatten sich von vornherein mit Reservierungen dem zu erwartenen Siegeslärm entzogen. Wie auch immer: Es hat sich gelohnt.
  Fünf Choreographien reihten sich zu einem abwechslungsreichen, stimmigen, etwa anderthalbstündigen Abend: konkrete Erzählsituationen und reine Tanz-ästhetik, klassische und experimentelle Elemente, explodierende Kraft und stille Schönheit, Farbenpracht und Melancholie. Yarica und Anabel von der Osten hatten sich eine Inszenierung ("Gaiwa", deutsch: "Stolz") von kühler Anmut in monochromem, rotem Licht erarbeitet: Sie tanzten annähernd symmetrisch, eine jede fast nur auf sich selbst bezogen, setzten jiddische Instrumentalmusik mit ihren Seufzern und trotziger Fröhlichkeit ausdrucksvoll um.
  Matthew Slys "Verregneter Ferientag" ist in der Situation eindeutiger: Ein Liebespärchen (Sly, Kerstin Kessel) und die Mutter (Cordula Isabel Eccarius) der jungen Frau tanzen in wechselnden Konstellationen und Launen das schlechte Wetter fort -- verspielte, charmante Episoden zu einer Bach-Suite für Cello solo.
  Da ist "Das wilde Leben der Eintagsfliegen" anstrengender: Kerstin Kessel schickt drei Frauen (Rosa Gehrmann, Yarica von der Osten, Heidrun Stahl) und drei Männer (Ilya Kopytin, Sly, Oleg Trutnev) auf die Piste -- Nachtschwärmer, die zu Flamenco nouveau und discotauglichen Popsongs heftig flirten, dem Dasein Spaß abverlangen, solange dafür Zeit ist. Doch das kostet Kraft.
  Eher jugendlich-übermütig, spontan und auch etwas undurchschaubar geht es bei Heidrun Stahls "Two Birds" (Gehrmann, Kessel, Yarica von der Osten, Kopytin, Sly, Trutnev) zu. Da mischen sich -- wenn auch sparsam dosiert -- Slapstick-Elemente und einige Verrätselungen in die Tanzkunst. Natürlich dreht es sich auch hier darum, den richtigen Partner zu erwischen, aber alles ist recht flatterhaft (das verrät schon der Titel), da greift auch mal jemand zum Mikrophon und sagt dann doch nichts. Die wunderbare Musik komponierte Patrycja Krawczynska, auch das ein klarer Gewinn.
  Das aufwändige Finale (alle Genannten plus Herbert Goldschadt) gestaltete die Ballettchefin selbst: Ingrid Burmeister inszenierte Gegensätze, die Musik als Leitmotiv: "Three Pieces for Blues Band and Symphony Orchestra". Schmelzende Geigen und schneidende E-Gitarren verkünden den Wechsel der Epochen und ihrer entsprechenden Schönheitsideale.
Spitzentanz und Showdance, als Konkurrentinnen kämpfen schließlich die ätherische Elfe (Cordula Isabel Eccarius) und die athletische Powerfrau (Rosa Gehrmann) um die Gunst des Publikums. Langer Applaus für die beiden und für alle. Die nächsten Termine: 14., 16., 22. und 27. Juni.

(Frank Füllgrabe in der Landeszeitung vom 12.6.2006)