Kultur
Susanne Janßen bei der "Clownerie".
Märchen aus guter alter Zeit
"Der Nussknacker" tanzt am Theater Lüneburg in Ingrid Burmeisters Zuschnitt zum Erfolg
Von H.-M. Koch
Zuerst steht da ein Dorf, es sieht ärmlich aus, kein Grün, kahle Fassaden. In eines der Häuser zieht sich eine alte Frau zurück, sie hat ein Paket gefunden, darin einen Nussknacker. Nun nickt sie ein und träumt sich fort in eine Zeit, in der ihre Welt großartig ist, voller Licht, prächtiger Kleider, aufmerksamer Diener, liebevoller Verwandter -- und ein Nussknacker, das war damals noch ein tolles Geschenk. So kann es gehen, um heute eine Geschichte aus scheinbar heiler Welt und guter alter Zeit zu erzählen, ein Märchen eben. Zwei Stunden funktioniert das prächtig beim "Nussknacker"-Ballett, das Ingrid Burmeister noch einmal dem Theater Lüneburg beschert, wieder punktgenau zugeschnitten für ihre Truppe -- und fürs Publikum.
Der "Nussknacker" ist natürlich ein Weihnachts-Klassiker. Aber der große Ballettabend steht immer im Februar an, da darf dann so ein Fest für Augen und Ohren mal verlegt werden. Es ist ein hübsches Fest geworden, und der Erfolg hat viele Väter und Mütter. Tschaikowskys Musik, die Kitsch nicht scheut, mit berühmten Melodien um sich wirft und alles hat, was Tanz braucht, wird von Nezih Seckin mit den in großer Besetzung spielenden Lüneburger Sinfonikern reizvoll in Schwung gebracht. Die Abstimmung mit den Tänzern passt und entwickelt mit Ingrid Burmeisters Choreographie gelegentlich regelrecht Spannung wie beim "Arabischen Tanz" (Kerstin Kessel, Oliver Hennes).
Haushohe Zuckerstangen und Riesenlutscher im Schloss der Zuckerfee gehören zu den effektiven Zeichen, mit denen das Bühnenbild von Johanna Maria Fischer auskommt, dazu wird es gut ausgeleuchtet (Walter Hampel). Da kommt die Masse prachtvoller Kostüme umso besser zur Geltung -- Bestaunenswertes schneiderte Sabine Meinhardts Team.
Alle Fäden laufen bei der Ballettmeisterin zusammen, die nach 1995 einen neuen "Nussknacker" mit Reminiszenzen an ihre frühere Arbeit geschaffen hat. Die Klara im Zentrum des Geschehens tritt als vorwitziger Backfisch auf. Yarica von der Osten verkörpert mit Elan und Frische ein Noch-Mädchen, quirlig und verspielt, schwärmerisch und im Aufbruch zum Erwachsenwerden. Um sie herum wuselt eine Welt aus Kindern (zur Bescherung alles Mädchen), Verwandten und Bekannten. Da gibt es die Eltern (Susanne Janßen, Herbert Goldschadt), die schrullige alte Tante Finchen (Kerstin Kessel wie schon 1995) und den Onkel Drosselmeyer (Thomas Pfeffer), der immer zugegen ist, wenn es brenzlig wird im Traum, in den Klara fällt.
Starke Bilder gelingen etwa im winterkalten Zauberwald mit einer eindrucksvoll tanzenden Schneekönigin (Cordula Isabel Eccarius). Mit Ilya Kopytin, der auch als "Nussknacker" eine gute Figur macht, lässt sie auch im großen Pas de deux eine bisweilen riskante Choreographie zu einem Höhepunkt werden. Zu den ausdrucksstarken Szenen zählen die von Susanne Janßen, zum Beispiel bei den "Clownerien" und beim anschließenden "Tanz der Clowns". Feuer zeigen Rosa Gehrmann und Matthew Sly beim "Spanischen Tanz", schön eingebunden sind die Kinderszenen, sie sorgen für Charme.
Alles, was das Theater an "Extras" hat, mischt mit, Extraballett und Extrachor zählen dazu. Das alles bekommt zwischendurch und ganz besonders am Ende verdient extragroßen Beifall. Und eines muss noch extra gesagt werden: Der garantiert schönste Schneemann, den dieser Winter zu bieten hat, heißt Wolfgang Marchetto. Er taut zumindest an den folgenden "Nussknacker"-Abenden garantiert nicht: 14., 18., 22., 24. Februar -- und er steht und dreht sich auch noch im März zur Frühjahrszeit.