Kultur
Sprunggewaltige Tänzer wie Matthew Sly als Alain (zweiter von links) beeindrucken beim neuen Ballettabend des Theaters Lüneburg. Foto: t&w
Von der Liebe auf dem Lande
Das Ballett feiert mit "La Fille mal gardée" einen runden Erfolg im Theater Lüneburg
Von H.-M. Koch
Lüneburg. Ab und an muss die Welt mal von A bis Z nur gut sein. Heil ist sie auf dem Land, und Tanz scheint die Art Kunst zu sein, die passt. Obwohl: Es tanzen in dem Werk, um das es hier geht, junge, auf Party und Liebe versessene Leute frech und fröhlich aus der Reihe - gegen den Wertekanon ihrer Eltern. So gesehen wäre "La Fille mal gardée" ein kritisches Stück, und es kam ja auch im Revolutionsjahr 1789 auf die Bühne. Tatsächlich revolutionierte das Ballett eher das angestaubte Genre als die Welt, und es sieht noch im Jahr 2008 aus wie ein Bild naiver Malerei oder eben so, wie sich das Landleben zum hübschen Idyll verkürzen lässt. Aber Spaß bringt es und umjubelt wird es zur Premiere im Theater Lüneburg.
Zu feiern gibt es dabei das gefühlt 27. Comeback von Thomas Pfeffer. Er, der eigentlich ja gar nicht mehr zu Ingrid Burmeisters Compagnie gehört, besetzt die Position des Ballettkomikers, tanzt und spielt mit Lust und Witz den Part der resoluten Mutter, die argwöhnisch über Tochter Lise wacht. Pfeffer wirkt wie aus einem Wilhelm-Busch-Band entsprungen und mischt zum Können die Prise (Selbst-)Ironie, die das heitere Spiel ein Stückchen über den Status des Niedlichen hebt.
Doch so sehr Mutter Pfeffer mit dem Besen droht, Tochter Lise und der leider gar nicht reiche und drum von Frau Mama abgelehnte junge Bauer Colas finden alle Nase lang den Weg zueinander. Yarica von der Osten tanzt die freche Lise - mal elegant, mal keck. Glaubhaft verkörpert sie die Verliebtheit in den athletischen und selbstbewusst balzenden Burschen Colas alias Ilya Kopytin. Gemeinsam sorgen sie für emotional tiefere Momente, und zugleich tanzen sie in sorgloser Verliebtheit ein Pärchen mit Schmetterlingen im Bauch.
Mutter aber drängt auf eine standesgemäße Heirat. Ihr Kandidat Alain erweist sich als täppisch und von seinem Papa (Wolfgang Marchetto) klein gehaltener Bubi. Zusammen erscheinen sie wie Zirkusclowns. Doch der sprunggewaltige Matthew Sly befreit die Figur nach und nach, was an Adrienne liegt, einer Partie, der Kerstin Kessel jugendliche Frische gibt. Es kommen also Paare zusammen. Am Ende ist sowieso alles egal, also schnappt sich die lange Mutter Pfeffer den kleinen kugeligen Bauern Marchetto.
Ingrid Burmeister erzählt die einfache Geschichte stringent und mit kinderkompatibler Komik. Mit stilisierten Kulissen aus dem Bauernhofleben (Barbara Bloch) und in ländlichen Sonntagskostümen (Sabine Meinhardt) entwickelt sich ein so vorausschaubares wie munteres Ballett, angereichert wird es mit viel Tempo und kleinen Nebenhandlungen. Herausragend dabei sind die Küken aus dem Jugendballett, die von Hahn und Henne (Fabian Abric, Anabel von der Osten) angeführt werden.
Dazu sprudelt eine zitatfreudige, plakative Musik, von der nichts im Ohr bleibt, die aber punkt- und sprunggenau auf das Geschehen passt. Nezih Seckin schneidert die Klänge, die auf Ferdinand Hérold zurückgehen, mit den forsch aufspielenden Lüneburger Sinfonikern maßgerecht auf Ingrid Burmeisters Tänzer zu. So steht nach gut zwei Stunden einem satten Erfolg nichts im Weg. Das Publikum dankt mit Bravo-Rufen und Standing Ovations. P.S.: Die Risiken dieses Abends lagen nicht beim Stück und nicht beim Konzept zur Realisierung, sie tauchten bei den Proben auf. Gleich zwei aus der Burmeister-Compagnie fehlten. Ein recht schnelles Comeback haben wird Matthias Grütz, der per Hexenschuss seinen Pfarrer-Part nicht spielen konnte. Weit bitterer traf es Rosa Gehrmann, die sich bei den Endproben verletzte und in Sachen Muskelfaser und Achillessehne einen längeren Anlauf fürs Comeback brauchen wird. Das bei dem Lüneburger Ballett gut aufgehobene "schlecht behütete Mädchen" steht wieder am 12. und 21. Februar auf dem Spielplan und dann weiter im März.
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