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Lüneburg, 09.02.2009

Bunte Träumereien in Lüneburg


Eine kleine Kompanie tanzt „Don Quixote“ ganz groß

Die Abenteuer von Don Quixote waren eigentlich nur als Parodie auf die massenhaft gelesenen Ritterromane seiner Zeit gedacht. Letzten Endes hat Miguel de Cervantes mit seinem Roman ein Stück Weltliteratur geschaffen, das bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat. Schnell entdeckte die Ballettbühne den Stoff für sich. Marius Petipa, der Ballettklassiker wie Schwanensee oder Dornröschen choreografierte, schuf eine Version von „Don Quixote“, die mit leichten Abweichungen heute noch von den großen Ballettkompanien getanzt wird. Virtuose Variationen mit waghalsigen Sprüngen, Drehungen und Balancen verlangen den Solisten dabei alles ab. Charakteristisch für dieses Ballett sind auch die bunte Gruppenszenen, die mit spanischen Volkstänzen den Lokalkolorit der Geschichte hervorheben, getragen von der Komposition von Ludwig Minkus.

Wie aber kann ein so opulentes Werk von einem kleinen Ensemble wie dem Lüneburger Ballett stilgerecht auf die Bühne gebracht werden? Ist ein solches Vorhaben für eine Kompanie, die gerade mal rund ein Duzend Tänzer umfasst, nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt? Keineswegs lautet die Antwort. Mit bunt gestalteten Szenen, einer temporeichen Choreografie, die auch Platz für lyrische Pas de Deux lässt und einer gut durchdachten Dramaturgie bietet der „Don Quixote“ von Ingrid Burmeister beste Ballettunterhaltung. Dabei gelingt es ihr die charakteristischen Elemente aus der bekannten Petipa-Choreografie zu integrieren und geschickt mit eigenem Schrittmaterial zu erweitern.

Don Quixote ist ein Träumer und er nimmt den Zuschauer mit in seine Traumwelt. Dabei steht der Ritter von La Mancha gar nicht selbst im Vordergrund der Handlung, sondern hält diese nur zusammen. Wie in den meisten Ballett-Adaptionen geht es um die Liebesgeschichte zwischen der Gastwirtstochter Kitri und dem Barbier Basil. Kitris Vater hat seine Tochter bereits dem reichen Gamache versprochen und erst in letzter Minute, während die Hochzeitszeremonie schon in vollem Gange ist, gelingt es Don Quixote die wahren Liebenden doch noch zu vereinen. Yarica von der Osten als Kitri und Matthew Sly als Basil zeigen in kunstvollen Pas de Deux ein elegantes Zusammenspiel. Ihre Geschichte wird verziert durch viele kleine Geschichten der Dorfbewohnern und dem Kinderballett. Hier entspannen sich kleine Szenen, die herrlich die Komik der literarischen Vorlage umsetzten. Besonders die Figur des reichen Verlobten von Kitri, getanzt von Oleg Trutnev, bringt das alberne Element zum Vorschein.

Aber auch ein weiterer Aspekt der Geschichte von Don Quixote wird in dieser Inszenierung intelligent umgesetzt. Es geht um die Auseinandersetzung mit Fiktion und Realität, mit Traum und Wirklichkeit. In der literarischen Vorlage sind es Windmühlen, die Don Quixote bekämpft, fest davon überzeugt es seien Riesen. Überdimensionale Bücher spiegeln im Bühnenbild von Barbara Bloch diese Fiktions-Thematik wieder. So wirken die Figuren im Vordergrund tatsächlich als wären sie den Seiten entsprungen. Und diese bunte Welt des spanischen Dorfes wird wiederum durch Traumsequenzen durchbrochen. Immer wieder gibt sich Don Quixote (Thomas Pfeffer) in lyrischen Pas de Deux Träumen hin, in denen er seiner Geliebten Dulchinea begegnet. Diese nimmt immer wieder unterschiedliche Gestalt an und begegnet ihm am Ende des zweiten Aktes sogar gleich in vierfacher Ausführung. In Brautkleidern und mit verschleierten Gesichtern trippeln die vier Dulcineen über die Bühnen - unverkennbar ein Zitat der Willis aus Giselle. Eine schöne Idee der Umsetzung, spiegelt dieses Ballett doch ideal die romantische Flucht aus der Wirklichkeit in eine Traumwelt wieder. Die ruhigen Pas de Deux von Don Quixote stehen im Kontrast zu den temporeichen Gruppenszenen der spanischen Gesellschaft. Die farbenfrohen Kostüme und die folkloristischen Schrittfolgen sind schön arrangiert.

Spätestens im abschließenden Grand Pas de Deux von Kirti und Basil (im klassischen Tutu und Torero-Outfit) treten die Lüneburger den Beweis an, dass sie die schwierigen Balancen, Hebefiguren, Sprünge und Drehungen glanzvoll beherrschen und dass ein großes Ballettwerk auch auf einer kleinen Bühne stilvoll und unterhaltsam umgesetzt werden kann. Großer Applaus vom Lüneburger Publikum.

Autor: Lena Zieker


© tanznetz.de 1996-2009


My Translation:

Colourful dreaming in Lüneburg

A small company dances Don Quixote the full size.

The adventures of Don Quixote were in truth meant to be only a parody of the widely read knight-romances of their time. In the end Miguel de Cervantes accomplished a world class piece of literature with his story, which even today has not lost its ability to fascinate. The dancer's stage quickly found a resource. Marius Petipa, who choreographed ballet classics like Swanlake or Sleeping beauty, created a version of Don Quixote, which with minimal changes is still danced by the big Ballet Companies. Virtuoso variations with fearless leaps, turns and balances demands that the soloists give their all. Other typical characteristics of this Ballet are the colourful group scenes, with Spanish folk-dances which emphasize the flair of the local history, all carried along by the composition of Ludwig Minkus.

But how can such an opulent work be brought with style onto the stage by a small company such as the Lüneburg Ballet? Is such an enterprise for a company, composed of only a dozen dancers, destined for failure from the start? The answer is, by no means. With colourfully arranged scenes, tempo rich choreography, which leaves place for a lyrical Pas de Deux, and a well thought through story line, Don Quixote from Ingrid Burmeister offers the best Balletic entertainment. Thereby she manages to integrate the characteristic elements from the well knows Petipa choreography and deftly add her own choreographic material.

Don Quixote is a dreamer and he brings the audience with him into his dreamworld. In this, the knight from La Mancha doesn't stand in the foreground of the action, but rather holds it all together. As in most balletic adaptations this is the love story between the innkeeper's daughter, Kitri, and the Barber, Basil. Kitri's father has already promised his daughter to the rich Gamache and only in the last minute, when the wedding ceremonies are already underway, does Don Quixote manage to unite the true lovers. Yarica von der Osten as Kitri and Matthew Sly as Basil display in the aesthetic Pas de Deux an elegant interplay. Their story is adorned through the means of small stories of the villagers and the children's dances. Here are played small scenes, which wonderfully convey the humour of the literary original. The figure of the rich suitor of Kitri, danced by Oleg Trutnev, particularly brings the element of foolishness to the surface.

But an other aspect of the Don Quixote's tale is in this staging intelligently realized. It is the conflict between fiction and reality, the dream and the truth. In the literary example it is windmills, which Don Quixote battles, convinced that they are giants. Overproportioned books mirror through Barbara Bloch's stage design this fictive theme. It works so that the figures in the foreground truly seem to spring out of the pages. And this colourful world of a Spanish town is its self broken into with a dream sequence. Don Quixote (Thomas Pfeffer) repeatedly abandons himself in lyrical Pas de Deux dreams, in which he encounters his beloved Dulchinea. These keep tanking on new forms and confront him at the end of the second act all four at once. In bridalware and with varied visages the four Dulcineas bourrée over the stage - unmistakably a quote from the Willis from Giselle. A nice idea of the staging, this ballet mirrors ideally the romantic escape from the real world into one imaginary. The composed Pas de Deux of Don Quixote stands in contrast to the lively tempos of the group scenes of Spanish society. The gladly-coloured costumes and the folk-dance steps are nicely arranged.

At the end, in the concluding Pas de Deux of Kitri and Basil (in classical Tutu and Toreodor outfit,) the Lüneburgers demonstrate clearly that the difficult balances, lifts, jumps and turns have been mastered and polished, and that a large ballet can be also on a small stage stylishly and enjoyably set. Great applause from the Lüneburg audience.