Kultur
Orpheus (Karl Schneider), hier mit Cupido (Elke Tauber), hat den Olymp nicht mehr im Griff. Foto: t&w
Jeder betrügt hier jeden
Premiere für "Orpheus in der Unterwelt"
Von Frank Füllgrabe
Lüneburg. Ach, die antiken Götter, was ist aus ihnen geworden: Jupiter (bzw. Zeus) sollte der Boss sein. Aber der Göttervater steigt, statt sich um Donner und Blitz zu kümmern, den Weibern hinterher, zur Not auch bis in die Hölle. Bacchus, Gott des Weines, säuft. Nun gut, dass gehört zu seinem Job, aber wieso stöckelt er jetzt -- in Corsage und Strapsen -- wie ein abgewrackter Frank'n'Furter durch die Götterwelt? Und Diana, Herrin der Jagd, hat nur noch Kerle im Visier, so wie hier sowieso jeder mit jedem betrügt. Aber so geht es eben zu bei "Orpheus in der Unterwelt". Die Operette von Jacques Offenbach feierte jetzt Premiere mit viel Applaus im Lüneburger Theater.
Regisseur Claus J. Frankl inszenierte mit Ballett, Haus- und Extra-Chor, Orchester natürlich, bevölkerte den Olymp mit fast allen Darstellern, die Rang und Namen haben. Knapp drei Stunden dauert das bunte Treiben in Himmel und Hölle, bei dem viel gekichert und gesoffen wird. Das Bühnenbild ist meistens großflächig weiß, eine Projektionsfläche für all die Höllenglut, für schnelle Stimmungswechsel. Der "Orpheus", vor 150 Jahren in Paris uraufgeführt, gilt heute als Prototyp der großen, abendfüllenden Operette. Er mag eine Attacke gewesen sein auf Scheinheiligkeit, auf verknöchertes Bildungsbürgertum, das allein die Antike gelten lässt, nicht zuletzt auf Wagners bedeutungsmächtiges "Tristan und Isolde", ein Jahr zuvor aufgeführt. Heute ist das Stück vor allem eine Revue spritziger Musik und origineller Charaktere. Viele Komponisten haben eine Melodie, mit der sie zuallererst in Verbindung gebracht werden. Beethoven? Freude schöner Götterfunken. Mozart? Die Fanfaren der kleinen Nachtmusik. Bei Offenbach ist es der berühmte Cancan (eigentlich: "galop infernal"), der bei der Premiere prompt am meisten beklatscht wurde.
Claus J. Frankl sorgte in dem Stück, das in die nächste Saison übernommen wird, immer wieder für überraschungen: Jupiter spricht plötzlich kölsch. Jacques Offenbach stammte schließlich aus Köln -- und hieß eigendlich Jakob, nä! Orpheus hat die Hölle satt ("Ich bin ein Star, holt mich hier raus!"); Hans Styx hat sein berühmtes "Als ich noch Prinz war in Arkadien" um eine Lüneburg-Strophe erweitert. Und Pluto, der in Gestalt eines Schäfers die schöne Eurydike verführte, wird gefragt, ob er in Brasilien als Betriebsrat unterwegs war -- da musste man als Zuschauer schon ein wenig aufpassen, was dem bekannten Stück gut tat.
Die Akteure verschenkten keine Pointe, kosteten die fast durchweg dankbaren Rollen aus, intrigierten, jammerten schwelgten, schmachteten schmetterten, dass es die reine Freude war, sammelten nach Kräften Punkte. Ebenfalls ein Pluspunkt: Die Operette begann und endete mit einem Video, einer Sofa-Talkshow mit einigen Hauptfiguren zur Frage: "Und wie halten Sie es mit der ehelichen Treue? Nun...
Heiß ist es in der Hölle, heiß war es im Theater. Nach so einer perlenden Operette kann es nur eine Erfrischung geben: Schampus. A votre santé !